Immer zu spät – oder: Wie Bernd die Zeit besiegte (Eine Geschichte zum Thema „Pünktlichkeit“)

Bernd war ein netter Typ. Immer freundlich, immer hilfsbereit – aber immer zu spät. Wenn der Unterricht um 8 Uhr begann, kam Bernd um 8:07. Bei Treffen mit Freunden? Mindestens zehn Minuten drüber. Und beim Sporttraining? Da erschien er manchmal erst zur Halbzeit.

„Ich habe halt mein eigenes Zeitgefühl“, sagte er grinsend, während er sich zum dritten Mal in dieser Woche eine Entschuldigung für die Schule überlegte. Die Lehrer seufzten, seine Freunde warteten – und Bernd lebte irgendwie in seiner eigenen Welt.

Bis zu dem Tag, an dem etwas Unerwartetes geschah. Am Freitagmorgen verschlief Bernd mal wieder. Nichts Neues. Er sprang in seine Klamotten, vergaß seine Brotdose und hetzte zur Schule. Doch als er das Schulgelände betrat, war alles… still. Keine Schüler. Keine Lehrer. Kein Geräusch.

Auf dem Bildschirm am Eingang stand in großen Buchstaben: ZU SPÄT, BERND! DIE ZEIT HAT LANGE GENUG GEWARTET.

Erschrocken lief er durch die Gänge. Leere Klassenzimmer, stehende Uhren, eingefrorene Vögel am Fenster. Die Welt hatte aufgehört, sich zu drehen – nur für ihn.

Plötzlich tauchte eine seltsame Gestalt auf: Ein alter Mann mit grauem Bart und einer riesigen Taschenuhr in der Hand. „Ich bin Chronos“, sagte er. „Hüter der Zeit. Du hast zu viele Minuten gestohlen. Jetzt ist es an der Zeit, sie zurückzugeben.“

Bernd musste für jede verpasste Minute eine Minute extra lernen. Keine Pause, kein Handy, kein Nickerchen. 1.327 Minuten. Fast 24 Stunden am Stück.

Am nächsten Morgen wachte Bernd auf. Erschöpft – aber verändert. Es war 6:30 Uhr, und er war schon angezogen. Seitdem ist Bernd der Pünktlichste der Klasse. Seine Freunde nennen ihn scherzhaft „Herr Zeit“. Und wenn er doch mal ein paar Sekunden zu spät kommt, schaut er nervös auf die Uhr – aus Angst, Chronos könnte wieder auftauchen.

Pünktlichkeit mag manchmal wie eine Kleinigkeit wirken. Aber sie zeigt Respekt – gegenüber der Zeit anderer, gegenüber Vereinbarungen und auch gegenüber sich selbst. Natürlich ist niemand perfekt, und Verspätungen passieren. Doch wer ständig zu spät kommt, verpasst nicht nur Minuten, sondern auch Vertrauen. Und wer weiß – vielleicht wartet Chronos ja schon…

Text: Merve Bagbasi (9a)